BeziehungsWeise
Von Michael Stoeber 

Antje Smollich hat in ihrer Kunst zu einer singulären und charakteristischen Bildsprache gefunden, die in mehrfacher Weise die Übereinkünfte und Grenzen herkömmlicher Malerei überschreitet. Ihre Werke zwischen Tafelbild und Objekt folgen einer artistischen Strategie, die mit festen Vorgaben operiert. Dennoch lassen die klar definierten Parameter ihrer Arbeitsweise Raum für den Zufall als Gestaltgeber des Werkes. Auf einen Bildträger, Sperrholz, Spanplatte oder Acryglas, trägt Smollich weißen oder farbigen Binder oder Kleber auf, der eine farbige Acrylglasplatte fixiert. Bei der Positionierung der Platte nimmt sie Maß an dem Bildträger und verschiebt sie mit einer einzigen Bewegung in die Horizontale oder Vertikale, manchmal auch in beide Richtungen. Über die farbige Acrylglasplatte legt Antje Smollich unter Umständen weitere Platten, bei deren Positionierung sie wieder an der Trägerplatte Maß nimmt. Schauen wir auf die Arbeit "ry" aus dem Jahr 2002! Der Titel ist ein Kunstwort. "ry" operiert mit einer lichtblauen Acrylglasscheibe und einer Holzplatte. Der rechte Rand der unten liegenden Holzplatte trägt den Kleber, die oben liegende Acrylglasplatte hat Smollich am unteren Holzplattenrand präzise und paßgenau angelegt und mit einem kräftigen Ruck weiter nach unten verschoben. Das Acrylglas reagiert - einem atmenden Organismus nicht unähnlich - eminent empfindlich auf alle Außeneinwirkung. Die seitliche Fixierung läßt die beiden Platten am anderen Rand sanft auseinanderklappen, ein Eindruck, der ein wenig an eine leicht offen stehende Tür erinnert. Diese Anmutung und der ätherische Farbeindruck haben einen sensiblen Betrachter dazu veranlaßt, das Werk für sich umzubenennen und aus ihm eine "Porte du paradis" zu machen, eine Pforte zum Paradis.

Smollichs Strategie der einfachen und eindeutigen Gesten verunklart und verrätselt das Bildobjekt. Durch die Verschiebungen scheinen malerische Kraftlinien auf. Die orthogonale Ordnung des Werkes gerät unmerklich aus den Fugen. Ein Tanz der Farben und Lineamente beginnt, sanft und subversiv. In der Interaktion mit dem Binder oder Kleber und durch die Transposition der Platten changieren die Farben des Acrlyglases. Hervor treten vielfältige, sich jeder eindeutigen Festlegung und Benennung entziehende Schattierungen und Modulationen. Das Terrain des Bildobjektes wird zu einer faszinierenden Topographie aus deutlichen und diffusen Partien. Den Charakter des Schimärenhaften verstärkt die Künstlerin, wenn sie das Acrylglas schleift, wenn sie opake und transparente Flächen miteinander verbindet und schatten- und schemenhafte Suggestion zusammen mit spiegelnder Simulation ins Bild setzt.
Smollichs neue Werke hängen nicht, sondern sie lehnen an der Wand wie die große Arbeit "orange- gelb", ebenfalls aus dem Jahr 2002. In diesen Werken ist der Trägermechanismus oft verkehrt. Nicht die sichtbare, oben aufliegende Platte, wird von der darunterliegenden getragen, sondern die sich auf dem Boden abstützende Platte schultert die darunterliegende. Bei dieser Anstrengung krümmt sie sich.
Und die Figur der Krümmung oder Wellung verändert nicht nur die Physiognomie des Werkes, sondern auch seinen Status. Sie verschiebt die Arbeit ganz entschieden in die Räumlichkeit und akzentuiert ihren plastischen Charakter. Darüberhinaus ist der Kontrast spiegelnder und opaker Partien bei den Wand/Bodenarbeiten keineswegs selbstbezüglich. Die spiegelnden Platten holen, da sie stets als gekrümmte auftreten, in deformierender Weise Welt und Betrachter mit ins Bild. Der wird im Blick auf ein scheinbar völlig abstraktes, völlig selbstbezügliches Werk plötzlich mit einer uralten Erzählung konfrontiert: sie handelt von der klassischen Problematik der Identität und davon, daß Ich stets ein anderer ist.

Kontraste und Oppositionen, Ambivalenzen und Paradoxien sind Schlüsselwörter zur Charakterisierung der Kunst von Antje Smollich. Sie manifestieren sich in der Dialektik von Zeigen und Verhüllen wie in der scheinbaren Verkehrung von Schwerkraft und Levitation. Gegen die faktische Schwere der Bildobjekte steht der optische Eindruck ihrer Leichtigkeit. Das Wunder dieses Werkes will es, daß die Gegensätze in ihnen stets harmonieren, was im Leben leider selten genug der Fall ist. Wenn sich in Smollichs Arbeiten der geschmeidige Binder und das harte Acrylglas, anarchische Lineamente und Ordungsstrukturen, opake und spiegelnde Repräsentation gelingend miteinander verbinden, dann erzählen die Werke, ohne im eigentlichen Sinne zu erzählen. Dann entwerfen sie den Traum einer unio mystica, wo Kalkül und Zufall, der Konstruktivismus der Minimal Art und die Gestik des abstrakten Expressionismus zur vollkommenen Einheit finden.