Physik und Metaphysik
Von Michael Stoeber
Antje Smollich hat in den achtziger Jahren in der Tradition der gestischen Abstraktion gemalt. Die Bilder aus dieser Zeit sind ebenso kraftvoll und vehement wie zart und subtil. In ihrem widersprüchlichen Duktus schlagen sie bereits eine Tonlage an, die auch das aktuelle Werk der Künstlerin bestimmt. In Ihm löst sie sich immer stärker vom konventionellen Tafelbild und findet zu einer singulären, unverwechselbaren Bildsprache.
Antje Smollich arbeitet mit schnell benannten Materialien und wenigen elementaren Gesten. Auf einen Bildträger, Sperrholz oder Spanplatte, wird ein weißer Acrylbinder aufgetragen, der eine farbige Acrylglasplatte fixiert. Die Positionierung der Platte nimmt Maß an dem Bildträger. Sie wird mit einer einzigen Bewegung gegenüber dem Bildträger in der Horizontalen oder Vertikalen verschoben. Über diese farbige Acrylglasplatte legt Smollich eine weitere Platte, bei deren Positionierung sie wieder an der Trägerplatte Maß nimmt. Das wäre das Minimum.
Darüberhinaus hat die Künstlerin in der Vergangenheit - in der Gegenwart wird ihr Werk immer reduzierter - in einer sysyphosartigen Anstrengung soviele Platten übereinandergelegt, wie ihr technisch möglich war. Allerdings folgte diese Strategie nicht dem Pathos der Überanstrengung ( oder jedenfalls nicht nur ), sondern natürlich vervielfachen sich in dem gestalterischen Spiel von Liebe und Zufall, von Kallkül und Anarchie mit der Zahl der übereinandergeschichteten Platten auch die Möglichkeiten eines ebenso transparenten wie komplexen Ausdrucks.
Smollichs Objekte sind eine Mischform aus einem aus den Fugen geratenen Tafelbild und einer an der Wand hängenden oder lehnenden - neuerdings auch auf dem Boden liegenden - Bildpastik. Der Begriff des Mischens im Sinne von Zusammenbringen, also Allianz, scheint mir gut geeignet, um zu beschreiben, was bei diesen Arbeiten passiert. Die Künstlerin verbindet unterschiedliche Verfahren und Materialien. So tragen ihre Werke Züge des abstrakten Expressionismus der 40er und 50er Jahre. Nur verdanken diese sich nicht dem Gestus eines vehement agierenden Pinsels, sondern dem energischen Druck der Platte auf die Farbe.
Der Bildaufbau, das Bildmaterial und das Bilddispositiv errinnern indes eher an die mathematisch orientierten Verfahren der Minimal Art. Da wäre zum einen der Einsatz des industriellen Acrylglases, die lakonische Geometrie der Bildform sowie das kalkulierte, genau nachvollziehbare Konzept der Bildverfertigung. Neben diesen ordendlichen ( im Sinne von ordo gleich Ordnung ), objektiven Faktoren stehen die unordentlichen, subjektiven Elemente. Der Eigenfluß des Binders verschleiert die Bildstruktur und läßt die Farbe des Acrylglases immer wieder neu und anders erscheinen. Am Ende werden die Werke immer fremder und geheimnisvoller.
Die widersprüchliche Allianz von launischem Zufall und klarer Planung, von sinnlicher Farbe und rationaler Linie, von geschmeidigem Binder und hartem Acrylglas bestimmt die Faktur von Antje Smollichs Arbeiten. Der optische Ausdruck einer schwebenden Leichtigkeit steht gegen die reale Schwere der Objekte, die eindeutige Nachvollziehbarkeiit der Bildentstehung gegen die nicht mehr zu benennende Vieldeutigkeit des vollendeten Werkes.
Was diese Arbeiten im übertragenen Sinne abbilden ist die vom Menschen angestrebte, immer wieder scheiternde und stets aufs Neue gesuchte Harmonisierung von Herz und Kopf, Gefühl und Verstand, Physik und Metaphysik. Was die Wirklichkeit oft nicht herausgibt, in Antje Smollichs Kunst wird es Ereignis. Die Utopie einer coincidentia oppositorum gewinnt in den Werken der Künstlerin bereits hier und heute Gestalt.